Israel Shamir

The Fighting Optimist

KONVOI NACH BETHLEHEM

(Convoy to Bethlehem)

(Dies wurde geschrieben nach einem feindlichen israelischen Einfall in Bethlehem im Oktober 2001)

Ein neuer Audi, zerknüllt wie eine leere Zigarettenschachtel im Aschenbecher eines nervösen Kettenrauchers, grüsste uns an der Einfahrt nach Bethlehem. Weitere Autos waren zu dünnen Platten aus Glas und Stahl zerdrückt worden. Israelische Panzertrupps lieben es, wie alle hinterhältigen Punks, Autos und Mülleimer zu zerschlagen. Kleine Kinder kauerten an einer Ecke und spielten mit leeren Patronenhülsen und machten das beste aus der kleinen Kampfpause. Bethlehem war zum ersten Mal seit Samstag, dem 20. Oktober, ruhig, als die israelischen Merkaba Panzer in die Stadt Christi rollten, um Scharons Lieblingsprojekt, die Wiederbesetzung Palästinas, durchzusetzen.

Es war still als eine neue Macht das Gebiet betrat: die Christen aus Jerusalem waren gekommen, um ihrem besetzten Nachbarn zu helfen. Es war ein eigenartiger Anblick und erinnerte an die Zeit der Kreuzzüge, als der Solidaritätskonvoi angeführt von Bischöfen und dem Klerus aller Glaubensrichtungen – Katholiken, Orthodoxe und Moslems, mit Kreuzen und Bannern bewaffnet den Würgegriff des israelischen Blockaderings durchbrachen und auf den stark beschädigten Strassen in Richtung der Geburtskirche zogen. Im Gegensatz zum Bush „Kreuzzug“ nach Afghanistan wurde dieser Kreuzzug von Christen und Moslems gemeinsam durchgeführt, da es zwischen diesen beiden, miteinander verwobenen Gemeinden keinen Streit gibt. Wir passierten das ausgebrannte Paradise Hotel, das Opfer eines direkten Treffer geworden war, die zweifach geknickten Elektrizitätssäulen, die Bilder von jungen Mädchen und Burschen, die von israelischen Scharfschützen getötet worden waren; Einheimische kamen aus ihren Schutzverschlägen und schlossen sich der Prozession an.

Die israelischen Panzer verliessen die Hauptstrassen und krochen in ihre Verstecke zurück, wie Drachen, die man bei der Jagd gestört hatte. Auf dem Weg traf ich zahlreiche alte Freunde, einheimische Ladenbesitzer und Touristenführer. Sie waren ziemlich mutlos: So wie die Dinge standen, mit diesem Krieg, sagten sie, gibt es keine Touristen, kein Einkommen und keine Hoffnung. Jerusalem und Bethlehem stehen und fallen zusammen. Bethlehem ist nur eine Vorstadt von Jerusalem. Ich kam so oft hierher mit meinen Touristen und Pilgern, in diese gutbürgerliche Stadt mit geräumigen Villen, riesigen Souvenirläden, grossen gräco-palästinensischen Familien, geschniegelten Nonnen, dem grossartigen Justinianischen Bauwerk, dem ältesten bestehenden Bauwerk Palästinas.

Der Platz vor der Kirche, der Manger Platz, war voller Einheimischer, die sich die Chance auf ein bisschen Sonnenlicht nicht entgehen liessen, nachdem sie sich tagelang hinter verschlossenen Fensterläden verschanzt hatten. Letzten Sonntag hatte ein israelischer Scharfschütze den sechzehn Jahre alten Chorknaben Johnny Thaljieh an der Kirchentür erschossen und nun blickte sein sanftes Gesicht herab von einem hastig gedruckten Poster. Dieser Platz war in einem italienisch anmutenden Stil vor zwei Jahren von der PNA wiederaufgebaut worden, vor den Festlichkeiten zur Jahrtausendwende und er sah nicht mehr so aus wie zu Zeiten der direkten israelischen Herrschaft, als er als Parkplatz für die Jeeps der Grenzpolizei und Touristenbusse diente und so gar nicht zum restlichen Stil passte.

In der Kirche sah ich unter den Priestern und Laien einen grossen Amerikaner mit stolzer Oberlippe, langem gelockten Haar und exotischer Kopfbedeckung. Es war Rabbi Jeremy Milgrom von der Organisation Rabbis for Human Rights. “Ich dachte ich wäre der einzige Jude hier”, sagte er. “Ich bin mir sicher, dass Tausende Israelis gekommen wären, wenn sie sich der Lage bewusst wären”.

Es stimmt, das israelische Fernsehen, so zahm wie Stalins Medien, hatte die Invasion heruntergespielt und strahlte nur friedliche Bilder aus mit freundlich gesinnten Panzern auf ruhigen Strassen. Dennoch hatte Jerusalem am zuvorigen Abend eine grosse jüdische Rally empfangen, die zur Vertreibung aller Nichtjuden aus dem Heiligen Land aufrief. Das israelische Fernsehen berichtete am Freitag Abend, kurz vor der Invasion, dass zwei Drittel der israelischen Juden diese Endlösung unterstützten. Jedoch hat jeder von uns die freie Wahl und Rabbi Milgrom wählte ein Judentum mit dem man leben kann. Ich war sehr froh, ihn zu sehen: Gott weiss, dieses Sodom braucht ein paar gerechte Männer.

Das Innere der Kirche war übersäht mit den Pockennarben der Kugeln: israelische Panzercrews hatten ihre schweren Panzermaschinengewehre an der Wiege Christi ausprobiert. Es erinnerte mich an das “hervorragende, effiziente und beeindruckende” (Zitat: Financial Times) Buch von William Dalrymple From the Holy Mountain[1], in dem er von einer „Welle von Angriffen auf kirchliches Eigentum in Israel“ spricht. „Eine Jerusalemer Kirche, eine baptistische Kapelle und ein christlicher Buchladen waren bis auf das Fundament niedergebrannt, es gab Versuche, die anglikanischen Kirchen in Westjerusalem und Ramleh und zwei Kirchen in Akkon niederzubrennen. Die protestantischen Friedhöfe auf dem Berg Zion wurden nicht weniger als acht Mal geschändet“.

Er hätte auch noch die Geschichte von Daniel Koren hinzufügen können, einem israelischen Soldaten dessen Kugeln die Abbildungen von Christus und der Heiligen Jungfrau in der Kirche St. Anthony in Jaffa pulverisierten. Dalrymple erwähnt die Taten des jüdischen „Bürgermeisters“ von Jerusalem, Ehud Olmert, der die erst kürzlich entdeckten christlichen Mönchskloster und Kirchen in Jerusalem zerstören liess, um die Erinnerung an die christliche Präsenz selbst im Heiligen Land auszulöschen. Derselbe Bürgermeister Olmert, der an eben dem Morgen, an dem wir durch Bethlehem zogen, drei weitere palästinensische Häuser zerstörte.

In der Grotte der Geburtskirche brannten ein paar Kerzen und eine palästinensische Familie betete still bei dem Stern, wie ihre Vorfahren es bereits getan hatten seit den Tagen von Scharons grausamem Vorgänger König Herodes des Grossen.

Es ist kein eigenartiger Zufall, dass diese Invasion begann, während die US Air Force afghanische Städte angriff. Anscheinend hatte Scharons Regierung beschlossen, die amerikanische Afghanistan Operation als Ablenkungsmanöver von ihrer Eroberung Palästinas zu benutzen. Der Dieb sieht in jeder Misere nur wieder eine neue Gelegenheit zum Diebstahl. Während unsere Augen auf den Wüsten jenseits des Oxusflusses ruhen, während sich Amerika vor weissem Puder in Briefkuverts zu Tode fürchtet, während humanitäre Organisationen unter den Massen von verhungernden Afghanen zusammenbrechen, während die anglo-amerikanische Flotte mögliche Hilfe aus dem Irak oder Syrien blockiert, schnappen sich die Israelis einfach den Rest Palästinas und löschen die Erinnerung an Christus aus seinem Geburtsland.

Die entgegengesetzte Interpretation ist auch möglich. Dass Israel in den 11. September verwickelt war scheint gegen jeden Verdacht bewiesen zu sein. Unterstützer Israels in den USA drängten auf den Krieg in Afghanistan und anderen Gebieten. Könnte es sein, dass das WTC zerstört und Städte zerbombt wurden, damit Scharon die einmalige Gelegenheit bekam, seine Endlösung durchzusetzen?

Scharons Männer in den amerikanischen Massenmedien gaben ihm ihre Unterstützung mit der aktuellen Welle von Araberhass und dem generellen rassistischen Mantra. “Osama Bin Ladens verschlagenes, öliges, semitisches Gesicht glotzt bei jeder Nachrichtensendung vom Bildschirm und schürt den Rassismus der amerikanischen Seher unverhohlen an. Dr. Joseph Goebbels selbst hätte es nicht besser machen können”, schrieb der britische Historiker David Irving aus Amerika. Er sollte es wissen, denn schliesslich ist er Goebbels Biograph.

Präsident Bush verlangte den sofortigen Rückzug Israels. Er sagte das sotto voce und hob sich seine „darüber gibt es keine Diskussion“ Redeweise für die Afghanen auf. Wir werden sehen, wessen Wille stärker ist und ob auf der Charta des Präsidenten auch Israel vorkommt, ob seinem Bellen auch ein Beissen folgen könnte. In P.G. Woodhouses urkomischem Roman Die Liebe Not mit Jungen Damen gibt es eine wunderbare Passage, die voll und ganz auf Präsident Bush übertragbar ist:

Ihr Argument scheint keinen Schönheitsfehler zu haben. Doch was dann? Wir applaudieren dem Mann der Logik, doch was ist mit dem Mann der Tat? Was werden Sie deswegen tun?

Nach unserem Besuch in der grossen Kirche bewegte sich unsere Prozession nach Beth Jalla, eine Schwesterstadt Bethlehems. Die zwei Krankenhäuser von Beth Jalla waren zerbombt worden und zehn Menschen waren wahllos von den Israelis erschossen worden. Die trauernden Angehörigen standen im Kirchhof, hielten die Bilder ihrer Toten in den Händen und nahmen die Beileidsbezeugungen entgegen. Besonders berührend war die umwerfende Schönheit der zweiundzwanzigjährigen Rania Elias, die in ihrem eigenen Schlafzimmer durch eine israelische Granate getötet wurde. Sie war auf dem Foto in einem weissen Brautkleid zu sehen; im selben Kleid wurde sie auch begraben.

Beth Jalla ist grimmig, aber trotzig. Auf den Strassen standen junge Männer mit AK Maschinengewehren. C’est le Tanzim, die Volksmiliz, erklärte ein koptischer Priester seinen maronitischen Anhängern. Die mutigen Tanzim Jungen mit ihren Berets erinnerten mich an Fidel Castros junge barbudos, als ob die palästinensische Revolution ihnen zu neuem Aufschwung verholfen hätte. Als der Konvoi aus der Stadt zog, kamen die Panzer in die Stadt und das Schnattern von kleinkalibrigen Waffen hallte über den Zwillingsstädten wider.

Ein grosser dunkelhäutiger orientalisch-jüdischer Taxifahrer holte mich am Checkpoint ab. Das massive Steuerrad seines Mercedes sah in seinen riesigen Händen wie ein Spielzeug aus. Er sah aus wie der Zwilling eines der Tanzim Guerillas, den ich vor fünfzehn Minuten gesehen hatte, nur fünfhundert Yards von hier im Aida Flüchtlingslager. “Ich habe mein ganzes Leben lang mit Arabern zusammengelebt”, sagt er. “Meine Frau sagt immer zu mir, ich sei im Herzen Araber. Wir sollten zusammenleben. So wie die Dinge stehen, mit diesem Krieg, haben wir keine Touristen, kein Einkommen und keine Hoffnung. Jerusalem und Bethlehem stehen und fallen zusammen”. Ja, trotz der offiziellen Gehirnwäsche auf beiden Seiten gibt es das stillschweigende Einverständnis, dass man das Heilige Land nicht aufteilen kann; es muss von uns allen gleichermassen als Gleichberechtigte gepflegt werden. Es gibt genug Platz zum Beten, zum Spielen, um Olivenbäume zu ziehen, Software zu entwickeln und Touristen herumzuführen. Die Panzer müssen gehen, zusammen mit der künstlichen Grenze zwischen Israel und Palästina.

 

[1] Herausgeber: HarperCollinsPublishers, 1997, www.fireandwater.com, ISBN 0 00 6547745

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